Politiker, die einander die Hände schütteln oder deren Finger ins Nirgendwo verweisen, um dem Betrachter Führungsstärke zu demonstrieren; zerlumpte Menschen, die durch die von Rauchschwaden durchzogenen Ruinen eines Bürgerkriegs stolpern; Wasserfluten, aus denen die Dächer von Autos ragen; ausgetrocknete Landschaften, deren Böden von Rissen durchzogen sind; ausgezehrte Kinder, deren Arme zu kraftlos sind, um sich noch erheben zu lassen; hoch aufragende Gebäude, vor denen große Logos aus Metall den Sitz einer Bank oder einer Firmenzentrale anzeigen; Uniformierte, die mit dem Sturmgewehr im Anschlag gegen Aufständische vorgehen; Broker, die hinter ihren Computerterminals Aktienkurse taxieren und manipulieren; exotische Strände, über denen sich der Zauber der Tropen verbreitet, der einst aus Hollywoord-Kulissen aufstieg; Demonstranten, die sich hinter Transparenten versammeln: ganz unabhängig davon, was die Texte jeweils vermelden, haben die Bilder das Wiedererkennen des Geschehens bereits organisiert, haben sie das Geschehene immer schon eingeordnet, um ihm Verlässlichkeit, Sinn und Struktur zu geben. Unablässig hüllt die Welt der Nachrichten, der Meldungen, der Berichte oder „News" ihre Bewohner – die Leser, Zuhörer und Zuschauer – in diesen visuellen Kokon aus längst Bekanntem ein. Nicht aus Boshaftigkeit wird er gesponnen. Er entsteht an der Grenze, in der sich das Medium einrichtet, um das Unheimliche ins bunte Mosaik eines Weltbilds zu transformieren, das immer schon heimisch ist und deshalb anheimeln lässt.
Was Marshall McLuhan über die Presse schrieb, gilt deshalb nicht nur von ihr: „Die Presseartikel, welchen sich alle Leser zuerst zuwenden, sind jene, von welchen sie schon wissen. Wenn wir Zeuge irgendeines Ereignisses waren, ganz gleich, ob es sich um eine Sportveranstaltung, einen Börsenkrach oder einen Schneesturm handelt, wenden wir uns zuerst dem Bericht über das Geschehene zu. Warum? Die Antwort ist für das Verständnis aller Medien von größter Bedeutung. Warum plappert ein Kind, wenn auch brockenweise, so gerne über seinen Tagesablauf? Woher kommt unsere Vorliebe für Romane und Filme mit vertrauten Szenen und Rollen? Weil die Einsicht und das Erkennen der Erlebnisse in einer neuen Gewandung für den rationalen Menschen eine geschenkte Gnade des Lebens ist. Das in ein neues Medium übertragene Erlebnis lässt zu unserer Freude frühere Bewusstseinsinhalte wieder aufklingen.“ (McLuhan, Die magischen Kanäle: Understanding Media, S.207)
Dies treibt folgerichtig den regressiven Zug des Bildjournalismus hervor. Sein Medium ist nicht das Neue, sondern das längst Gewesene, wie es aus früheren Bewusstseinsinhalten abrufbar ist. Sollte es etwa an vermeintlich aktuellen Bildern fehlen, tun es deshalb auch „Archivbilder“. Sie ersetzen das Gefehlte lückenlos. Das Resultat aber ist umso paradoxer. Den Bewohnern einer Welt, die von Ereignissen umstellt ist, von ihnen umgewälzt wird und unablässig anders aus ihnen hervorgeht, gehen die Ereignisse aus. Stattdessen werden sie ins Gewesene verbannt, in ihre eigene Vergangenheit gesperrt. Damit hören Leser, Betrachter und Zuschauer im präzisen Sinn auf, Zeitgenossen zu sein. Denn schneller noch als die Ereignisse sind die Bilder des Gewesenen, die ihre Welt moderieren und anordnen. Schemen gleich, die ihre Nähe zur Wirklichkeit einerseits beschwören, schematisieren sie alles, was als wirklich aus ihnen in Erscheinung treten könnte. Doch entspringt dies, um es zu wiederholen, nicht dem bösem Willen oder Interessen der Manipulation. Immer neu lädt das Medium vielmehr dazu ein, im gerade Geschehenen Ereignisse aufzusuchen, deren Zeugen wir vor unvordenklicher Zeit schon waren oder – mehr noch – deren Protagonisten wir gewesen sein werden. Alles reduziert sich aufs Statische eines vermeintlich Gewesenen, aus dem es hervorgeht und das es erneut aufrufen soll. Daher das Statuarische, das diesen Bildern eignet, ihr archetypischer Zug, der alles zentriert, ohne doch ein Zentrum zu haben.
Denn wie anders sollte man sich das Ereignis anverwandeln können als dadurch, es um etwas Gewesenes zu gruppieren und in Mytheme einzuspinnen, die sich zugleich dem eigenen Verschwinden widersetzen müssen und sich deshalb wiederholen? Fotoagenturen generieren ihre laufenden Einnahmen nicht nur „vor Ort“, sondern ebenso aus inszenierten Bildern, die das Unsichtbare einer Struktur, das Abstrakte eines Zusammenhangs, den wiederkehrenden Augenblick, das Singuläre oder eine Stimmung, die Gestimmtheit sich wiederholender Situationen visualisieren sollen. Abrufbar lagern sie in den Archiven, die von Modellen, Requisiten und stan-dardisierten Interieurs bevölkert werden, um von Bildredakteuren bei Bedarf als Klischee hervorgezogen zu werden. So verleihen sie dem Geschriebenen oder Gesprochenen Authentizität und Nachdruck. Solche Bilder, „Symbolbilder“ genannt, lassen sich zwanglos ganz unterschiedlichen Texten zuordnen. Sei es, um die Geborgenheit zu beschwören, die ein lückenloser Versicherungsvertrag vermittelt; den Genuss, den die gestresste Hausfrau in einer besinnlichen Nachmittagsstunde bei einer Tasse Kaffee erfährt; das Selbstbewusstsein, das ihr ein sorgfältig aufgetragener Lidstrich verleiht; die planerische Kompetenz, die ein leitender Mitarbeiter in einer Geschäftsbesprechung an den Tag legt; das Glück, Kinder aufwachsen zu sehen oder die Vertrautheit einer Familie zu erleben, die ihre Intimität im Garten oder auf einer Fahrradtour in freier Natur genießt; die ergebene Dankbarkeit angesichts einer Hilfestellung oder Wohltat, die den Empfänger aufatmen lässt; die kühne Kraft einer Investition, einer Entscheidung oder eines Einsatzbefehls: „Symbolbilder“ machen Strukturen, Stimmungen oder Augenblicke anschaulich, deren Irreduzibilität sie beschwören, um sie in ständiger Wiederkehr des Bekanntesten abrufen und verbürgen zu können. Dies allerdings verleiht ihnen eine Qualität, die den Archetypus simuliert. Wer sich ihnen überlässt, weiß nicht nur, woran er ist. Mehr noch, er lässt sich von ihnen einnehmen: verführerisch ziehen sie ihn in ihren Sog einer un-schätzbaren Geborgenheit. Sie rührt aus einem Versprechen, dessen Erfüllung sie selbst bereits sind. „Symbolbilder“ verleihen den Situationen Dauer, den Augenblicken Halt. Sie garantieren dem Betrachter die Sicherheit und Gewissheit einer Welt.
Deshalb sind sie auch nicht die missratenen Nachkommen, die Bastards der visuellen Botschaften, die uns von seriösen Fotoreportern an den Kriegsschauplätzen, aus dem Zentrum von Umweltkatastrophen oder im Glanz der Haupt- und Staatsaktionen erreichen. Die Nachrichtenfotografie entspringt selbst einer Welt der „Symbolbilder“, von denen die Frauenzeitschriften, die Männermagazine, die Lifestyle-Illustrierten und Apotheker-Magazine voll sind. „Symbol“- und Nachrichtenbilder teilen sich in die Regimes des Längstbekannten, Altvertrauten. Die „geschenkte Gnade des Lebens“, von der Marshall McLuhan spricht, wird ihren Betrachtern hier wie dort zuteil. Denn wo sich Leser und Betrachter zunächst und vor allem den Berichten über Geschehnisse zuwenden, deren Zeugen sie waren, da muss ihnen jedes Ereignis, an dem sie keinen solchen Anteil hatten, zumindest auf eine Weise erfahrbar werden, die diese unmögliche Zeugenschaft wahrscheinlich macht oder wenigstens suggestiv beschwört. Nur dies verwickelt sie ins Bild, nur so nimmt es sie gefangen. Dies gilt bekanntlich selbst für Ereignisse, deren Singularität, deren Einmaligkeit außer Frage steht. Nicht zufällig verlieh ein amerikanischer Filmregisseur nach dem 11. September seiner überraschten Befriedigung darüber Ausdruck, dass der Einsturz der Twin Towers in New York den Vorstellungen recht gut entsprochen hätte, die man sich von solchen Vorkommnissen in den Trickstudios der Katastrophenfilme viele Jahre zuvor schon gemacht habe. Voll Faszination, Entsetzen und Abscheu erlebte das Publikum an diesem Tag vor den Fernsehempfängern, was ihm die vertrauten Kinobilder lückenlos bestätigte und es mit der beruhigenden Versicherung umgab, sich auszukennen.
Die Zweideutigkeit, die hier zum Ausdruck kommt, entstammt der medialen Struktur selbst, aus der die Nachrichtenbilder auftauchen. So sehr wir alles, was wir von der Welt wissen, aus Medien wissen, so wenig ist den Bildern, in denen uns diese Welt dann erscheint, ein Realitätsindex eingelassen, der uns ihrer Wahrheit, Welthaftigkeit oder Wirklichkeit versichern könnte. Schien die fotografische Technik, zumindest in ihren Anfängen, trotz denkbarer Montagetechniken noch dafür einzustehen, dass sie von der Authentizität einer Situation zeugte, in der ein Bild tatsächlich entstand, so erodierte dieser Glaube am medialen Charakter des Fotos selbst. Nicht erst die nachträgliche Manipulation lichtempfindlichen Materials, nicht erst der technische Eingriff in die Pixelstruktur einer Digitaldatei erlaubt die mögliche Verschiebung, mit der die vermeintliche Bildwirklichkeit unter Verdacht gerät, subtiler Trug zu sein. Schon wo ein Foto seinen Betrachter zur Assoziation oder einem Spiel der Phantasie einlädt, erzeugt es eine eigene Welt. Es spannt sich zum Totum einer „Realität“ auf, die sich von seinem eigenen Ausgangspunkt bereits entfernt hat. Den Index des Realen jedenfalls führt es nicht mit sich, indem es derart „Realität“ stiftet. Es wird zum Gegenstand eines „objektiven Sachverhalts“ ,eines politischen Geschehens etwa, einer Katastrophe oder eines berichtenswerten Vorgangs, der die Aufmerksamkeit usurpieren soll. Das Repräsentierte indes zieht sich in ihm zugleich zurück, und das Reale verliert sich in der Oberfläche des Gezeigten.
Gegen diesen Verlust arbeiten die Nachrichtenbilder beständig an, wo sie den Betrachter der Authentizität eines Geschehenen versichern. Mit aller Macht routinierter Inszenierung, die ihnen zu Gebote steht, widersetzen sie sich dem Schicksal, das alle Repräsentation trifft: über den Rückzug des Realen hinwegtäuschen zu müssen, der sich in ihr vollzieht. Alle Techniken moderner Mytheme werden deshalb aufgeboten, um den Riss zu verschweißen, der das Reale von der fotografischen Repräsentation abspaltete. Nur so wird sie zur Nachricht. Nur auf diesem Weg bezieht sie ihre vermeintliche Präsenz, ihre von Wirklichkeit gesättigte Authentizität. Die spricht deshalb auch nicht aus unerreichbarer Ferne. Um real zu werden, muss sie sich im Vertrautesten verankern können, das der Betrachter bereits ist, muss sie aus einer Gewissheit auftauchen, in der er sich längst heimisch in der Welt wähnt. Sie gibt ihm Anhalt, sich den Bildern weniger auszusetzen als sie aufzusuchen, um sich in ihr Studium zu vertiefen. Darin besteht der unschätzbare Wert der modernen Archetypen, die der Nachrichtenfotografie Rückhalt verleihen: wo es an Realem mangelt, wird es durch die Wiederkehr des Stereotyps ersetzt, das ein Neues hervorholt, so als entspringe es unvordenklich gewesenen Bewusstseinsinhalten seiner Betrachter.
Die aber bleiben allemal brüchig. Nur mit beschwörerischer Gewalt fügen sich Fotos dieser lückenlosen Geschlossenheit einer Repräsentation. Denn die kompositorische Kraft des Stereotyps, die Macht des archetypischen Schemas ist von Rissen durchzogen. Ihr entgeht das Einzelne, Singuläre, jenes Moment einer Unverfügbarkeit, das die Kohärenz der Inszenierung stört und das Bild aus der Fassung bringt. Zumeist sind es Momente des Unscheinbarsten: das kann die Haltung der Hände sein, der Blick eines Augenpaars, der Wurf eines Schattens, ein Bruch der Perspektive, die Falte eines Kleides. Solche Elemente stechen hervor. Sie stoßen aus der ikonischen Oberfläche heraus und treffen ihren Betrachter wie ein Schock, der sein Studium der fotografischen Gegebenheiten aussetzen lässt. Roland Barthes insistiert deshalb auf diesem zweiten Element. Es „durchbricht (oder skandiert) das studium. Diesmal bin nicht ich es, der es aufsucht (wohingegen ich das Feld des studium mit meinem souveränen Bewusstsein ausstatte), sondern das Element selbst schießt wie ein Pfeil aus seinem Zusammenhang hervor, um mich zu durchbohren. […] Das zweite Element, welches das studium aus dem Gleichgewicht bringt, möchte ich daher punctum nennen; denn punctum, das bedeutet auch: Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt - und Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft).“ (Roland Barthes, Die helle Kammer, S.35 f.) Das punctum widerfährt damit wie ein Schock. Es zerreißt die Kohärenz des Bildes und seiner Wahrnehmung. Es lässt in ihr ein Reales durchbrechen, das sich in der fotografischen Re-präsentation zurückgezogen hatte, um aus ihr früher noch zuzustoßen wie mit einer Verwundung. Als Stich oder Schnitt aber ist es kein Prinzip, das die Kohärenz eines Fotos wiederherstellen könnte. Das punctum bringt aus dem Gleichgewicht, was immer sich zur Gegebenheit einer Realität fügen will, erst recht, wo sie sich archetypisch zu verdichten sucht.
Erkennbar zeichnet sich hier ein Konflikt ab, der die fotografischen Bildwelten durchläuft und sie an jedem Punkt aufs Spiel setzt. Tatsächlich sind die „Symbolbilder“ der Fotoagenturen nämlich ebenso wenig symbolisch, wie die Bildwelten der Fotoreporter, die „vor Ort“ agieren, „real“ sind. Ihre archetypische Kraft ist brüchig, ihr mythischer Glanz fragil. Unablässig wiederholt sich in ihnen lediglich der beschwörerische Gestus, der einen von Wahrheit und Wirklichkeit gesättigten Wahrnehmungsraum aufspannen soll, in dem die Betrachter zu Zeitgenossen werden und „up to date“ sind. Damit drängen sie sich zwar gebieterisch in den Vordergrund, doch nur, um ihn einer Wirklichkeit zu versichern, die sie aus einem Gewesenen hervorholen, das er schon ist. Im punctum jedoch zerfällt dieser lärmende Anspruch, mit dem sie ihn umstellen. Tatsächlich führt es keine „andere“ Wirklichkeit vor Augen, die jenseits der scheinbaren läge. Es fällt nicht als Versicherung ein, einem rissigen Vordergrund die fehlende Kohärenz zu erstatten. Viel eher ist es selbst die Kraft dieses Risses. Das kleine Loch korrigiert die Nachrichtenbilder nicht durch eine andere Wirklichkeit, die noch authentischer, wahrer, tiefer oder umfassender wäre als sie. Indem es einbricht wie ein Stich, der die Wahrnehmung teilt und auftrennt, zerbricht es die Kohärenz des Bildes ebenso wie das Arsenal der Archetypen, in denen es sich abstützt. Es macht die Schnitte kenntlich, die das entzogene Reale vom Panorama abspalten, zu dem die imaginären Bildwelten es aufspannen; und damit zugleich unterbricht es die „bildsymbolische“ Gewalt, die der Archetyp an sich reißen will, um hegemonial zu werden, zerreißt es sie durch die symbolische Differenz eines Würfels, eines Wurfs, in dem sich die Welt unablässig geteilt hat und teilt.
Doch dazu wird es nötig sein, ein wenig auf Abstand zu gehen. Die Linien dieses Konflikts wird nur wahrnehmen, wer in den Bildern aus aktuellsten Nachrichten zu lesen versteht, als wären sie das längst Gewesene. Die neuen Zeichnungen Achim Hoops’ führen uns in eine solche Lektüre ein. Die avancierten Techniken der Bildagenturen überziehen sie mit den ältesten: den Strichen eines Stifts. Fast scheint es, als würden diese Zeichnungen dabei mit den Pressebildern in einen Streit um die Höhe der Bildauflösung eintreten: so sehr versenkt sich dieser Stift hier in die Einzelheit, um einen kalkulierten Realismus hervorzubringen. Doch betrifft er alles andere als das Reale. Unschwer wird der Betrachter in ihm die Archetypen entziffern, in denen die Mytheme der Nachrichtenagenturen seinen Blick auf die Welt ordnen. Kaum ein Motiv dieser Zeichnungen wird ihm also unvertraut sein. Vielmehr stören sie ihn im Vertrauten, Gewohnten auf, überraschen sie das Stereotyp seiner Wahrnehmung, die ihm das Unveräußerlichste und Eigenste zu sein schien.
Hier wird das fotografische Medium einer Analyse unterzogen, die sich im sensiblen Medium der Zeichnung vollzieht. Ganz so, als sei das Pressebild in sich geschichtet, machen sich Hoops’ Bilder daran, solche Schichtungen abzutragen und freizulegen. Sie tasten sich in die Wahrnehmung des Betrachters vor, um ihm ein unausgesetztes déjà-vu zu bescheren: immer schon war er auf den Schauplätzen zugegen, die sich ihm da zeigen, und indem er sich in ihnen wiedererkennt, trifft er umso schockhafter auf sich selbst. Diese Zeichnungen ziehen den Fotos gleichsam die Haut ab, in die sich die journalistischen Bilder kleiden, und machen sie zur Haut ihrer Betrachter. Nichts weiß er von der Welt, in die er sich teilt, was nicht aus den Archetypen des Bildmediums hervorging; er weiß so gut wie nichts also. Und doch sind sie das, was ihn in der Welt sein lässt: Gewohnheit seiner Existenz, Apriori seiner Wahrnehmung und Fundament seiner Gewissheit, die allein in sich selbst beruhen.
Damit wird ihm die Weltgewissheit jedoch ebenso entzogen, und diese Abkopplung vom Realen ist im Wortsinn unheimlich. Umso eindringlicher tritt das Unheimliche deshalb in diesen Zeichnungen hervor. Ihr subtiler „Realismus“ ist von Anfang an aus dem Gleichgewicht geraten, und ihr düsterer Grundton beunruhigt, indem er selbst Risse hervorruft und wiederholt: als kurzes Lachen etwa, wie es ausbrechen mag, sobald jemand vom Kurzschluss einer Erkenntnis überrascht wird. Unheimlich nämlich ist es, wo wiederkehrt, was verworfen wurde und sich in die Gestalten eines vermeintlich Wirklichen kleidet, um den Akt der Verwerfung zu verhüllen. Deshalb ist Marshall McLuhans Hinweis zwar am Platz, dass „die Einsicht und das Erkennen der Erlebnisse in einer neuen Gewandung für den rationalen Menschen eine geschenkte Gnade des Lebens ist“. Doch vergisst sich hier, dass diese Gnade vom Unheimlichen gezeichnet bleibt. Die „Gewandung“ hüllt ihren Träger ebenso ein, wie sie ihn aus sich herausversetzt und weltlos werden lässt. Dies allerdings treibt die zeichnerische Analyse der Nachrichtenfotografie an, die Hoops vorlegt. Deren Archetyp hält nicht zusammen, was er zusammenhalten soll, und das Mythem bindet nicht ein, was es einzufassen sucht: im Unheimlichen der Wiedergänger rebelliert, was von ihnen nicht besänftigt werden kann, weil es in ihnen wiederkehrt.
Insofern geht es auch nicht darum, den Archetypen des Realen etwas entgegenzusetzen, das aus dem Medium der Zeichnung wie eine Wahrheit spräche. Der Konflikt durchläuft die Bildwelten der Fotos nicht anders als die der künstlerischen Niederschrift. Dies allerdings trennen die Zeichnungen Achim Hoops’ auf, und so gewinnen sie analytische Kraft. Was Barthes das punctum nannte, das den Betrachter wie ein Stich heimsucht und davor bewahrt, sich in den Bildern heimisch einzurichten, sticht umso schmerzhafter zu, wo es mit der Akribie des Zeichenstifts einschneidet.